Band - Dionysos
Opernphantasie von Wolfgang Rihm
Unter den schimmernden Oberflächen der Wort-, Sprach- und Form-Spiele, aus denen Nietzsche seine »Dionysos-Dithyramben« locker und zugleich verdichtet bildete, schweben szenische Keime. Unablässig in Bewegung bilden sie Entzündungsfelder für die verschiedensten – auch konträren – Bühnenhandlungen. Die Ansteckung des Lesers wirft fi ebrige Assoziationsfelder auf. So ist das Libret to zu verstehen, so ist es entstanden. Nicht vor, sondern während der Arbeit, die das fortgesetzte Memorieren jahrzehntelanger Leseerfahrung mit diesem eigenartigen Text-Gewächs darstellte.
Seit nun fast 40 Jahren begleiten mich diese scheinbaren Dichtungen, die wie grundlose Pfl anzen aus dem Dunkel eines anamnetischen Sees heraufstehen. Mein Komponieren begann jeden Morgen erneut aus der Gespanntheit heraus: es endlich erfahren zu dürfen, wie die Szenen sich wohl weiterentfalten. So wurde ich zum staunend stenographierenden ersten Zuschauer, Hörer und Rezensenten eines Musiktheaters, das einer von vielen Möglichkeiten Figur und Haut verlieh, jene einander durchkreuzenden Assoziationsfelder der »Dithyramben« in schwankende Gestalten zu fassen.
Die szenischen Einfälle setzte ich durchweg in eckige Klammern: auch, um anzudeuten, dass hier kein selbsternannter »Urtext« nach sklavischer Befolgung schreit, sondern dass Bild-Erfindung und Szenen-Phantasie nicht ausgeladen sind: vielmehr erwünscht, erhofft, ersehnt. Und N. muss keine Nietzsche-Bart-Brille-Maske tragen: »Ein Gast« – um Himmels willen – schreitet nicht als Heinrich-Köselitz-Umriss einher. Ja, doch, die historischen Schatten spielen hinein in dieses unablässige Spiel der Doppel-Belichtungen. Aber die mythische Grundschicht erträgt deren Schattenwurf ohne Verletzung.
Die Stadien von Komik, die sich bei jedweder Beschriftung mythischer Schichten durch historisches Personal (zu dem wir selbst ja auch alle gehören) naturgemäß offenbaren, empfand ich als wohltuende Ergänzung des Tiefernsts und der dunkel-tragischen Grundierung, der die Phantasie anheimfällt, hat sie erst einmal begonnen, in der Ausdruckswelt der »Dionysos-Dithyramben« zu schweifen.
Wolfgang Rihm
Unter den schimmernden Oberflächen der Wort-, Sprach- und Form-Spiele, aus denen Nietzsche seine »Dionysos-Dithyramben« locker und zugleich verdichtet bildete, schweben szenische Keime. Unablässig in Bewegung bilden sie Entzündungsfelder für die verschiedensten – auch konträren – Bühnenhandlungen. Die Ansteckung des Lesers wirft fi ebrige Assoziationsfelder auf. So ist das Libret to zu verstehen, so ist es entstanden. Nicht vor, sondern während der Arbeit, die das fortgesetzte Memorieren jahrzehntelanger Leseerfahrung mit diesem eigenartigen Text-Gewächs darstellte.
Seit nun fast 40 Jahren begleiten mich diese scheinbaren Dichtungen, die wie grundlose Pfl anzen aus dem Dunkel eines anamnetischen Sees heraufstehen. Mein Komponieren begann jeden Morgen erneut aus der Gespanntheit heraus: es endlich erfahren zu dürfen, wie die Szenen sich wohl weiterentfalten. So wurde ich zum staunend stenographierenden ersten Zuschauer, Hörer und Rezensenten eines Musiktheaters, das einer von vielen Möglichkeiten Figur und Haut verlieh, jene einander durchkreuzenden Assoziationsfelder der »Dithyramben« in schwankende Gestalten zu fassen.
Die szenischen Einfälle setzte ich durchweg in eckige Klammern: auch, um anzudeuten, dass hier kein selbsternannter »Urtext« nach sklavischer Befolgung schreit, sondern dass Bild-Erfindung und Szenen-Phantasie nicht ausgeladen sind: vielmehr erwünscht, erhofft, ersehnt. Und N. muss keine Nietzsche-Bart-Brille-Maske tragen: »Ein Gast« – um Himmels willen – schreitet nicht als Heinrich-Köselitz-Umriss einher. Ja, doch, die historischen Schatten spielen hinein in dieses unablässige Spiel der Doppel-Belichtungen. Aber die mythische Grundschicht erträgt deren Schattenwurf ohne Verletzung.
Die Stadien von Komik, die sich bei jedweder Beschriftung mythischer Schichten durch historisches Personal (zu dem wir selbst ja auch alle gehören) naturgemäß offenbaren, empfand ich als wohltuende Ergänzung des Tiefernsts und der dunkel-tragischen Grundierung, der die Phantasie anheimfällt, hat sie erst einmal begonnen, in der Ausdruckswelt der »Dionysos-Dithyramben« zu schweifen.
Wolfgang Rihm



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